Modernist Approach –
Annäherung an die postmoderne Küche

Am Anfang steht ein Spaziergang. Die Wohnsiedlung beginnt zurückzuweichen, die Häuserreihen lockern sich bald auf und weichen schließlich dem Wald, der seinerseits bald in ein Feld mündet. Der Weg führt mal auf Trampelpfaden, mal querfeldein, Wickenblüten werden gepflügt und Reisig gesammelt, blaustrotzende Heidelbeeren und saftig grüne Gräser gesellen sich dazu. Auf den ersten Blick würde wohl niemand der mir begegnet auf die Idee kommen, ich würde all das mit dem Ziel sammeln, daraus eine wohlschmeckende Speise zu kochen.

Zugegeben weiß ich selbst nicht so genau, was ich sammeln möchte – das ist auch gar nicht der Anspruch, im Gegenteil. Ich möchte damit nachvollziehen, wie René Redzepi dereinst selbst durch die Wälder streifte und sich von und mit den dort wachsenden Zutaten inspirieren lies einen Stil des Kochens zu entwickeln, der mittlerweile die Sterneküche vielerorts dominiert. René Redzepi ist der Küchenchef eines der derzeit bekanntesten und einflussreichsten Restaurants, dem Noma in Kopenhagen. Sein minimalistisches, zuweilen brutal-archaisches Kochen ist das, was sich hinter heutigen Bezeichnungen wie Nordic Cuisine verbirgt. Doch was hat es damit auf sich? Welche Intension verbirgt sich hinter Gerichten wie „Verlorenes Entenei und dänische Austern, rohes und gekochtes Gemüse“ oder „Dessert von Blüten“ . Das möchte ich versuchen herauszufinden mit diesem Spaziergang, der so im doppelten Wortsinn zu einem Feldversuch wird.

Konzentration auf wenige Zutaten

Schon die äußere Erscheinung der Gerichte zeigt, dass das Wesen dieser postmodernen Küche in erster Linie in einer radikalen Rationalisierung begründet ist. Die Teller zeigen meist nicht viel, es werden wenige – zuweilen gar nur ein bis zwei – Zutaten präsentiert. Das Ziel besteht weniger darin, eine breite Geschmackskomposition zu kreieren, vielmehr wird jede Zutat als Solitär gesehen, als Geschmacksträger der es verdient, kompromisslos in den Mittelpunkt gerückt zu werden. In dieser Logik ist der Verzicht auf eine reichhaltige Zutatenliste somit auch gar nicht als Einschränkung zu verstehen, dieser Verzicht eröffnet vielmehr die Möglichkeit neuer Kreationen mit einem klaren Geschmacksprofil.

Dabei kommt dem Spiel mit verschiedenen Texturen nicht selten eine zentrale Bedeutung zu. Die gleichzeitige Präsentation einer Karotte oder einer Pastinake als Püree, gegrillt, roh und als Schaum – das ist eine der beliebtesten Übungen der Nordic Cuisine. Auch eine archaische Interpretation von Klassikern wie Milch und Honig in Form von gefrorenem Milchschnee und Honiggel zählt zu diesem Spiel der Texturen.

Ein radikaler Bruch mit mondänen, Ehrfurcht erregenden Gourmet-
tempeln

Zu alledem passt natürlich auch das geänderte Setting, in dem solch eine postmoderne Menüfolge eingenommen wird, man könnte auch sagen: in der sie inszeniert wird. Anstelle eines pittoresken, schlossähnlichen Interieurs, in dem Kellner im schwarzen Frack und mit weißen Samthandschuhen goldumrahmte Teller mit pompösen, vielfältigen Kompositionen an den Tisch bringen, treten schlichte Gasträume. Auch hier gilt: Simplizität, Reduktion von Störfaktoren und Konzentration auf das wesentliche – das Essen. Es ist eine Inszenierung der Zutaten, und gerade darin soll auch das Ergebnis liegen. In Zeiten des Entertainments und der Gleichzeitigkeit verschiedenster Dinge liegt gerade in dieser Reduktion und Konzentration das radikal Neue dieser Philosophie.

Dabei suggeriert das alles einen grundsätzlichen neuen Anspruch bezüglich der Orientierung dieser Küche, dieser Form der Gastronomie. Während sich die althergebrachten, meist im konservativen Milieu verorteten Sternerestaurants vor allem als Spielwiesen der Oberschicht präsentieren (oder zumindest gemeinhin als solche wahrgenommen werden), die sich an einer möglichst luxuriösen Zutatenwahl orientieren, sind diese Restaurants Ausdruck einer urbanen Avantgarde, deren Selbstbespielung gerade in einem Verzicht auf diesen Luxus liegt. Dass es sich dabei nur um eine suggerierte Wahrheit handelt, dürfte beim Blick auf die weiterhin ungebrochen hohen Preise verständlich werden.

Befreiung oder Selbstbeschneidung?

Bei kritischem Betrachten stellt sich dennoch die Frage, ob diese radikale Schlichtheit auf Dauer tatsächlich eine Befreiung von althergebrachten Zwänge der Haute Cuisine ist, oder ob sie sich eher als Selbstbeschneidung und neue Form des Zwangs entpuppt. Denn stellt man sich einmal die Frage, was diese Küche nicht kann, so wird man schnell fündig: einen Schmorbraten mit kräftiger, dunkler Soße, knackigen Gemüsen und einem kreativ gefüllten Raviolo – vereint auf einem Teller, dabei einen zwar weniger differenzierten, dadurch aber ungemein süffigen Geschmacksteppich bildend.

Ei Modern Nordic

Pochiertes Hühnerei in sommerlicher Heidelandschaft

Ein transzendentes Esserlebnis

Mein Spaziergang ist mittlerweile fast zu Ende, ich steure vollbepackt mit Blüten, Beeren und Zweigen die Küche an. Zusammen mit roter Beete und einigen Stücken vollreifem Camembert entsteht ein Teller, der den Terroir-Gedanken französischer Winzer aufnehmend eine Hommage an den Wald darstellen soll, aus dem die Zutaten stammen. Symbolisiert wird dieser Wald wie unschwer zu erkennen ist durch Reisig, Beeren und Blüten der angrenzenden Wiesen. Für mich als Koch ist das in mehrfacher Hinsicht ein transzendentes Erlebnis, die Grenzen zwischen Zutatenbeschaffung und Kochen verschwimmen, das Essen wird zum Spiegelbild von Sinneseindrücken und Erfahrungen, die jenseits der eigentlichen Speise und deren Aromen liegen. Man betrachtet den Teller, probiert Beeren und Beeten und wähnt sich in einem Wald, aus dem jene Zutaten stammen. Unbeantwortet bleibt dabei die Frage, ob der Gast diese Erfahrungen teilen könnte, ohne selbst die Intention hinter der Speise erdacht zu haben.

Schließt sich hier der Kreis? Steckt hinter jenem Ansinnen, das Essen zum Ausgangspunkt und Zentrum eines dieses transzendierenden Erlebnisses zu machen, nicht wiederum eine Komplexität, die an anderer Stelle von dieser postmodernen Küche negiert wird?

Ohne diese Frage abschließend beantworten zu wollen, bleibt zu sagen, dass die Nordic Cuisine mit all ihren postmodernen Ansätzen eine reizvolle Neuerung darstellt. Den allumfassenden Anspruch einer besseren, alternativlosen Küche, der ihr oft anhaftet, empfinde ich dabei allerdings ebenso prätentiös wie jenes luxuszentrierte Gebaren alteingesessener Gourmetinstitutionen. Ich empfinde diese Küche und die sie begleitende Philosophie vor allen Dingen dann als Bereicherung, wenn sie bestehende Einflüsse erweitert. Wenn sie reduziert wo dies geboten ist und dabei Raum lässt für die Schönheit, die jenseits der Simplizität liegt.

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