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Der Weg ist das Ziel

Kochbücher gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, fast jede Zutat, jedes Gemüse und jede kulinarische Glaubensrichtung hat ein Kochbuch, das sich mit ihr auseinander setzt. Auch wer nach Gourmet-Kochbüchern sucht, wird schnell fündig. Es gibt kaum einen Spitzenkoch, der nicht einige seiner Gerichte und eine mitunter philosophisch anmutende Erklärung seines Werks veröffentlicht. Viele dieser Bücher sind langweilig, manche strotzen nur so vor übertriebenem Pathos, sind mitunter klinisch rein oder wiederholen einfach nur das, was so oder so ähnlich schon von vielen Köchen zuvor gesagt wurde. Sucht man nach Büchern, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen, die wirklich einen Einblick in das Werk des Kochs und die verwendeten Kochtechniken bieten und Anekdoten aus dem Restaurantalltag enthalten, dann wird die Luft schon dünner.

Umso begeisterter war ich, als ich Ende des vergangenen Jahres in meinem Lieblingsbuchladen ein neues Buch auf dem traditionell recht überschaubaren Regalbrett mit den Kochbüchern der Spitzenköche fand. Noch bevor ich es aufschlug wusste ich, dass das fast quadratische, schneeweiße Eleven Madison Park Kochbuch auf lange Sicht den Weg in meine Kochbuchsammlung finden würde. Tatsächlich hat es dann nur wenige Tage gedauert – Weihnachten sei Dank!

Mittlerweile ist dieses Buch mein absolutes Lieblingskochbuch. Schöne Bilder, kreative Rezepte, ein ansprechendes Layout – das haben die meisten Kochbücher auf diesem Niveau. Lebendigkeit ausstrahlen, dem Leser eine Geschichte erzählen, sich in die Lage eines Hobbykochs versetzen – das können die wenigsten. Es ist der ganz besonders intensive Blick fürs Detail, das dieses Buch ausmacht. Dazu gehören die Bezugsquellen für verschiedene Zutaten am Ende des Buchs, Bezugsquellen für Deutschland wohlgemerkt, obwohl sich das Restaurant in New York befindet. Dazu gehören Angaben wie jene, dass grundsätzlich Bio-Eier der Gewichtsklasse L verwendet werden genauso wie das Bestreben, für Flüssigstickstoff oder Sous-Vide-Garen nach Möglichkeit alternative Zubereitungsmethoden anzuführen. Abgerundet wird all das durch einen harmonischen Rahmen, durch die Darstellung der Restaurantgeschichte und der Erfahrungen des Teams. Sowohl der Manager Will Guidera als auch Koch Daniel Humm beschreiben aus ihrer Sicht, was das Eleven Madison Park ausmacht und welche Hürden sie auf dem Weg an die gastronomische Weltspitze überwinden mussten. Diese Geschichten, die frei von Pathos und Plattitüden sind, lassen das Buch lebendig werden.

Das allerschönste an dem Buch sind dennoch die Rezepte zu den photografisch wunderbar in Szene gesetzten Gerichten. Es sind Rezepte, die man studieren muss, bevor man anfängt zu kochen. Man muss sich Gedanken dazu machen, in welcher Reihenfolge man die mitunter zahlreichen Komponenten  am besten zubereitet. Man bekommt die Zutaten für eine Speise niemals in nur einem Geschäft, manche bekommt man gar nicht. Die Zubereitung kann einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, zumindest wenn man alleine ist oder nur einen Herd zur Verfügung hat. Lässt man sich aber darauf ein und hält sich an die Vorgaben, so sehr einem das auch manchmal widerstrebt („Das kann doch so gar nicht funktionieren!“), erhält man am Ende ein Gericht, dass dem auf dem Bild sehr nahe kommt – zumindest geschmacklich. Das optisch ansprechende, perfekte Arrangement gelingt wohl erst mit sehr, sehr, sehr viel Übung…

Von einer Brasserie mit gehobenem Anspruch zu einem Restaurant der gastronomischen Weltspitze aufzusteigen war einst das Ziel Will Guideras und Daniel Humms. Nicht zuletzt wegen des wunderschönen Kochbuchs darf man dankbar sein, dass sie es erreicht haben. Einige Nummern kleiner, aber genauso ambitioniert ist mein Vorhaben – ich möchte mich durch das Eleven Madison Park Kochbuch kochen. Von vorne bis hinten. Ratzeputz. Fangen wir an…

Das Ziel von La Cuisine et les Jours

Man isst, um satt zu werden. Diese Feststellung ist ebenso trivial wie richtig – trotzdem ist für mich das Schönste am Essen der mitunter lange Weg, an dessen Ende sich schließlich das Sattsein einstellt. Das lebenserhaltende Leitmotiv der Nahrungsaufnahme ist letztlich der essenzielle Kern, um den sich ein Universum an Geschmäckern, Zutaten, Zubereitungsmethoden, Farben und Düften entwickelt hat, die das Essen zu dem machen, was es in meinen Augen ist: eine lebensfüllende Erfahrung. Ein endloser Weg, ein Erlebnis, das Geist, Seele und Körper gleichzeitig zu erfassen vermag.

„Auch in einem Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne“ – dieser oft zitierte Aphorismus Sigfried Giedions bringt sinnbildlich den Stellenwert des Essens auf den Punkt. In erster Linie eine reine Lebensnotwendigkeit, vereint das Essen und vornehmlich der Weg zur fertigen Speise grundlegende Anlagen des Menschen. Handwerk, Geselligkeit, Kreativität und Ästhetik, Genuss.

Die einzigartige Kombination von Notwendigkeit und kaum endender Möglichkeit zur Perfektion, machen das Kochen zu einer künstlerischen Ausdrucksform, die mit dem anschließenden Essen zu einer tiefen, allumfassenden Erfahrung wird.

Dieser Perspektive auf das Kochen und auf das Essen folgend, widme ich mich in diesem Blog nicht nur Rezepten und Kochtechniken. Vielmehr versuche ich die vielgestaltigen Erfahrungen herauszuarbeiten, die Kochen und Essen umgeben, transzendieren. Erfahrungen, die man auf dem langen Weg zum Sattsein macht. Auf einem Weg, den man – einmal eingeschlagen – freiwillig nicht mehr verlassen möchte.